Therapeut gesucht – Therapeut gefunden

Informationen zur psychotherapeutischen Unterstützung in Deutschland und wie Sie diese finden.

Ein Artikel von und mit Nicole Rübbe, Florian Schefenacker und Marcus Rübbe

Mein Name lautet Marcus Rübbe. Ich zähle mittlerweile 43 Lebensjahre und 26 davon verbringe ich nun beruflich mit Menschen, vorwiegend als Business Coach in Arbeitsgruppen. Seit meiner Diplomarbeit im Bereich Erwachsenenbildung vor 15 Jahren verfolge ich die so genannte Professionalisierungs-Debatte in den Disziplinen Coaching, Beratung und Therapie. Nach knappen 365 -zusätzlich zu meinen beiden Studiengängen absolvierten – Weiterbildungstagen in Coaching, Beratung und Therapie, behaupte ich hier nun, einen guten Überblick über diese Bereiche zu haben. Daher nenne ich mich auch professioneller Business Coach. „Aber Coach ist doch jeder!“, mögen Sie vielleicht gerade denken. Ja und nein.

Ja, weil der Begriff durch die bislang immer noch nicht abgeschlossene Professionalisierung-Debatte nicht geschützt ist. Somit kann sich jeder und jede derart nennen. Folglich überfluten viele selbsternannte Profis im Bereich Coaching und Beratung den Markt mit Hilfsangeboten, teilweise unprofessionell, bis der Arzt oder Therapeut dann wirklich kommen muss.

Und daher auch nein, denn nicht jeder, der sich Coach nennt ist auch einer! Viele haben nicht die nötigen Kompetenzen, Ausbildungen und professionellen Haltungen, die es bräuchte, um im Sinne einer Profession zu arbeiten.

Doch was ist denn nun, wenn ich schnell wirklich professionelle Hilfe und Unterstützung brauche?

Der kürzlich erschienene Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung mit dem Titel „Therapeut gesucht“ vom 03.06.2020 (online unter dem Titel „Der mitunter steinige Weg zur Psychotherapie“, 27.05.2020 https://www.augsburger-allgemeine.de/themenwelten/gesundheit/Der-mitunter-steinige-Weg-zur-Psychotherapie-id57452836.html) beleuchtet genau dieses Thema von einer bestimmten Seite. Die freie Journalistin Elena Zelle (dpa) schreibt u.a.:

Psychische Störungen brauchen eine gute Therapie. Doch das ist für gesetzlich Krankenversicherte leichter gesagt als getan.
Denn die Plätze sind rar – und der Ablauf nicht leicht zu durchblicken. Usw.

Mich persönlich lässt der Artikel ein wenig besorgt zurück, denn ich frage mich gerade in Zeiten von (Post-)Corona, Krise, Kurzarbeit, Home-Office, steigender häuslicher Gewalt, Unsicherheit, etc.: Was um Himmels Willen, wenn es mir jetzt psychisch wirklich schlecht geht und ich entschieden habe, dass ich sofort und unmittelbar Hilfe benötige? Muss ich, wie mir der Artikel suggeriert, immer einen „steinigen Weg“ mit bis zu einem halben Jahr Wartezeit gehen? Und bleibt mir für eine sofortige Hilfe lediglich die 112 zu wählen oder die „emotionale Entlastung“ per E-Mail am „Seelefon“ des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) zu suchen?

Gibt es denn keine anderen Hilfsmöglichkeiten? Doch! Und zwar zahlreiche und mindestens ebenso gute und professionelle. Aber wie in meinem Business, dem Coaching von Führungskräften und Mitarbeitern in Unternehmen, taucht hier ebenso die berechtigte Frage auf: Wie finde ich denn nun den passenden Therapeuten für mich?

Und genau da geht’s los, denn zunächst kommt die grundsätzliche Frage auf: „Wen brauche ich überhaupt, einen Therapeuten, psychologischen Berater oder doch einen Coach?“

Genau diese andere Seite, die in dem zuvor erwähnten Artikel ausgeblendet wird, soll in der hier vorliegenden Artikelreihe ganz genau beleuchtet werden. Dazu habe ich zwei Therapeuten aufgesucht und interviewt, weil ich wissen wollte, wie es aktuell in Corona-Krisenzeiten mit der Unterstützung in einem Bereich mit klaren Zugangsvoraussetzungen und rechtlich-gesetzlichen Regelungen bestellt ist. Denn so viel steht im Unterschied zum freien Coaching-Markt fest: Therapeut darf sich eben nicht jeder/jede nennen.

Befragt habe ich die beiden u.a. zu folgenden Themen:

  • Wie sind die aktuellen Zahlen von Menschen, die therapeutische Hilfe suchen?
  • Wie sieht die derzeitige Situation in Zeiten von Corona aus?
  • Welche Möglichkeiten der sofortigen Hilfe gibt es, außer der Therapie bei einem psychologischen Psychotherapeuten?
  • Was bringt mir die Unterstützung eines Heilpraktikers für Psychotherapie?
  • Worauf sollte ich bei der Auswahl eines Therapeuten achten?
  • Welche Möglichkeiten der Unterstützung habe ich, abgesehen von Therapie?
  • Wo genau erhalte ich eine schnelle Unterstützung, wenn ich diese benötige?

Hilfe, wo ist mein Therapeut? Zahlen, Daten, Fakten zur aktuellen Therapeutenlage in Deutschland?

Wie im ersten Teil versprochen geht es nun – da Sie uns kurz kennengelernt haben – mit Zahlen, Daten und Fakten los. Danach blicken wir noch auf das Thema Psychotherapie in den Zeiten der Corona-Krise.

Marcus Rübbe (im Folgenden Marcus): Ihr beiden habt den Artikel aus der Augsburger Allgemeinen ebenso gelesen. Anscheinend haben es Betroffene oft schwer, einen Therapieplatz zu finden. Manchmal warten sie Monate auf ein Erstgespräch. Wie ist aus eurer Perspektive die aktuelle Lage? Habt ihr konkrete Zahlen?

Florian Schefenacker (im Folgenden Florian): Laut dem statistischen Bundesamt beträgt unser aktueller Bevölkerungsstand etwa 83 Millionen[1]. Im Laufe ihres Lebens erkranken über 42% aller in Deutschland lebenden Menschen an einer psychischen Erkrankung[2]. Bei unserem aktuellen Bevölkerungsstand entspricht dies 35,5 Tausend Menschen!

Marcus: Diese Zahl bezieht sich wahrscheinlich auf die gesamte Lebensdauer von soweit ich weiß im Durchschnitt ca. 79 Jahren bei Männern und knappen 83 bei Frauen.
[3] Kann man sagen, wie die jährliche Verteilung aussieht?

Florian: Jährlich betrachtet dürfte die hoffnungsvolle, „Mich-wird-es-eh-nie-erwischen-rosa-Weltsuper-Brille“ einen hässlichen Graustich bekommen: Fast 28% (ca. 23.018.700) [4] der deutschen Einwohner sind jährlich von einer psychischen Störung betroffen! Bei einer vierköpfigen Familie erwischt es durchschnittlich also etwa ein Familienmitglied.

Marcus: Unglaublich, das sind große Zahlen. Könnt ihr etwas darüber sagen, welche psychischen Erkrankungen am häufigsten vorkommen?

Nicole Rübbe (im Folgenden Nicole): Am häufigsten verbreitet sind Angst- (15,3 %) und depressive Störungen (7,7 %), gefolgt von Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum (5,7 %)[5]. Um mal einen Eindruck von der Anzahl der Betroffenen zu bekommen: Bei Personen mit Angsterkrankungen sind das über 3 ½ Millionen Menschen. Diese Anzahl entspricht fast einer Stadt der Größe Berlins[6]. Und zwar jedes Jahr!

Marcus: Kann man hinsichtlich der depressiven Störungen ähnliche Vergleiche anstellen?

Nicole: Ja klar, beispielsweise wurden 2016 über 260.000 Menschen im Krankenhaus wegen Depressionen behandelt bei etwa 82 Millionen Einwohner in Deutschland[7]. Verglichen mit dieser Gesamtzahl sind das nicht viele. Da Depressionen aber 7,7% [8] aller psychischen Störungen ausmachen, sind das jährlich fast 2 Millionen Menschen allein in Deutschland. Das heißt, dass jedes Jahr so viele Menschen an Depressionen erkranken, um damit eine Stadt etwa von der Größe Hamburgs zu füllen[9], eine gewaltige Zahl!

Marcus: Krass, das sind tatsächlich gewaltige Zahlen! Kommen wir noch einmal auf der Anzahl der zur Verfügung stehenden Therapeuten zurück. Wie genau sieht aktuell das Verhältnis von Menschen mit psychischen Erkrankungen und den zur Verfügung stehenden Therapeuten aus?

Florian: In der ambulanten Versorgung standen für Erwachsene mit psychischen Erkrankungen 2018 insgesamt ca. 27.000 Psychotherapeuten zur Verfügung. Davon waren interessanterweise über 6.000 ärztliche Psychotherapeuten und knappe 21.000 psychologische Psychotherapeuten[10]. Konkret stehen also 27.000 Therapeuten über 23 Millionen Menschen mit psychischen Erkrankungen gegenüber.

Marcus: Das ist ja wirklich heftig. Was für ein mega Ungleichgewicht zwischen den erkrankten Personen, sprich einem enormen Bedarf und den Behandlungsmöglichkeiten.

Florian: Das ist es. Ich denke, dass man anhand dieser Zahlen durchaus sagen kann, dass der Bedarf einfach nicht gedeckt werden kann. Denn wenn sich jeder der Betroffenen tatsächlich an einen ambulanten Psychotherapeuten wenden würde, kämen auf jeden dieser Therapeuten pro Jahr ca. 630 Patienten. Gleichzeitig soll anhand von solchen Zahlen aber verdeutlicht werden, dass eine psychische Erkrankung kein Randgruppenphänomen ist und dass man damit keinesfalls allein dasteht.

Psychotherapie in Zeiten der Corona-Krise

Marcus: Wie sieht es denn ganz aktuell zu Zeiten der Corona-Pandemie aus?

Nicole: Die aktuelle Situation aufgrund der Corona-Pandemie hat bei vielen Menschen zu weitreichenden Veränderungen geführt.

Marcus: Kannst du uns beispielhaft einige Veränderungen nennen?

Nicole: Hierzu gehören z.B. die Isolation aufgrund der Kontaktbeschränkungen und somit das Abgeschnittensein von Familie, Freunden und Arbeitskollegen. Zugleich leiden einige Familien unter dem vermehrten häuslichen Zusammensein und der ungewohnten Enge und Nähe, die sich daraus ergibt. Aber auch die Veränderungen der beruflichen Situation, beispielsweise durch die Arbeit im Home-Office oder Kurzarbeit können sich belastend auswirken. Oft kommen finanzielle Sorgen hinzu oder die Angst nahestehende Menschen anzustecken. All dies sind Aspekte, die auch bei gesunden Menschen Stress, Angst, Anspannung, Unruhe, Gereiztheit, Einsamkeit oder auch Niedergeschlagenheit hervorrufen können.

Marcus: Und wie sieht es aus, wenn man bereits von einer psychischen Erkrankung betroffen ist?

Florian: Besteht bereits eine psychische Erkrankung, so ist es möglich, dass die Corona-Pandemie bzw. die damit verbundenen Maßnahmen diese forcieren kann. Insbesondere bei Menschen, die bereits unter Ängsten, Panik, Zwängen oder Niedergeschlagenheit leiden, können sich die Symptome verstärken. So gibt es z.B. Klienten, bei denen sich depressive Tendenzen durch die Isolation und fehlenden sozialen Kontakte verstärken oder andere, die sich aus Angst vor Ansteckung nicht mehr aus dem Haus trauen.

Marcus: Besteht in einem solchen Fall, wenn jemand nicht mehr das Haus verlässt, denn überhaupt die Möglichkeit therapeutische Unterstützung zu bekommen?

Nicole: Ja, auf jenen Fall. Zum einen haben viele Therapeuten mit Beginn der Corona-Krise ihr Angebot um Online-Sitzungen erweitert und bieten diese alternativ zu den Terminen in der Praxis an. Die betroffenen Personen bekommen somit Hilfe, ohne das Haus verlassen zu müssen. Zum anderen ist auch im Bereich der Psychotherapie vereinzelt und unter gewissen Voraussetzungen ein Hausbesuch möglich. Diesen bieten jedoch nicht alle Therapeuten an.

Marcus: Das klingt recht positiv. Wie ist denn eure Prognose für die Zukunft? Inwieweit wird sich der Bedarf an Therapie verändern?

Nicole: Wir gehen davon aus, dass sich bei einigen Menschen die bereits bestehenden Symptome und Krankheitsbilder verschlimmern können. Dies kann insbesondere bei Angststörungen, Depressionen, Suchterkrankungen oder auch Zwangsstörungen der Fall sein. Leichte Tendenzen sind jetzt schon spürbar.

Marcus: Zwischenzeitlich sind ja bereits wieder viele Beschränkungen gelockert worden und die Isolation ist nicht mehr so stark, wie noch vor ein paar Wochen. Macht das einen Unterschied?

Florian: Die meisten Menschen sind sehr froh darüber, dass wieder ein bisschen das normale Leben eingetreten ist. Man ist in seinem Handlungsspielraum nicht mehr so eingeschränkt, kann sich wieder freier bewegen und seine Freunde und Familie treffen. Dennoch kann es sein, dass die Folgen der Corona-Krise bei manchen Menschen erst in nächster Zeit sichtbar werden. Diese Folgen könnten z.B. ein Jobverlust, finanzielle Nöte, Streitigkeiten in sozialen Beziehungen (Partnerschaft, Freundschaft) mit der Folge der Trennung sein. Das könnte dann den Bedarf an psychologischer und therapeutischer Unterstützung ansteigen lassen.

Marcus: Wie wir aus dem Artikel aus der Augsburger Allgemeinen, den wir im ersten Teil unseres Interviews erwähnt hatten und anhand eurer erwähnten Zahlen wissen, kann es mehrere Monate dauern, bis man einen Therapieplatz bei einem psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten bekommt, der von der Krankenkasse übernommen wird. Welche weiteren Möglichkeiten für eine Therapie habe ich denn sonst noch?

Florian: Wie in dem Artikel schon erwähnt wurde, kann man sich an einen psychologischen Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung wenden. Bei diesem trägt man die Kosten der Therapie selbst.

Marcus: Gibt es noch weitere Möglichkeiten einer eigenfinanzierten Therapie?

Nicole: Ja, die gibt es. Und zwar besteht die Möglichkeit sich an einen Heilpraktiker für Psychotherapie zu wenden. Zu diesem Therapeutenkreis zählen auch Florian und ich.

Marcus: Was genau macht ein Heilpraktiker für Psychotherapie?

Nicole: Personen mit dieser Bezeichnung sind befugt Heilkunde im Bereich der Psychotherapie auszuüben. Das heißt, wir dürfen Leiden und psychische Erkrankungen bei Menschen feststellen, heilen oder lindern. Hierzu gehören natürlich entsprechende Kenntnisse in einem Psychotherapieverfahren, damit das Stellen einer Diagnose und die psychotherapeutische Behandlung möglich sind.

Marcus: Das heißt, Menschen mit beispielsweise einer Angststörung oder Depression können sich mit ihrem Therapiewunsch auch an einen Heilpraktiker für Psychotherapie wenden?

Florian: Ganz genau, es gibt eine Vielzahl von psychischen Störungen bzw. Erkrankungen, die wir therapieren können und dürfen. Gerade Klienten mit Ängsten und/oder depressiven Symptomen suchen häufig Unterstützung bei uns. Ganz wichtig ist an dieser Stelle, dass der Heilpraktiker für Psychotherapie seine Sorgfaltspflicht beachtet und zum Beispiel Klienten mit schwerwiegenden depressiven Symptomen an einen Arzt verweist.

Marcus: Warum ist hier das Hinzuziehen eines Arztes notwendig?

Nicole: Gerade bei schweren depressiven Episoden ist die zusätzliche Einnahme von Medikamenten angeraten und in den meisten Fällen auch erforderlich. Als Heilpraktiker für Psychotherapie sind wir jedoch nicht berechtigt, Medikamente zu verschreiben. Dies darf nur ein Arzt oder Psychiater. Somit ist es wichtig, dass ein Heilpraktiker für Psychotherapie über gute diagnostische Fähigkeiten verfügt und rechtzeitig erkennt, wo es notwendig ist, einen Mediziner hinzuzuziehen.

Marcus: Wie ist das denn bei den psychologischen Psychotherapeuten? Dürfen die auch Medikamente verschreiben?

Florian: Die psychologischen Psychotherapeuten beschäftigen sich, wie die Heilpraktiker für Psychotherapie, schwerpunktmäßig mit der Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen. Auch sie dürfen keine Medikamente verschreiben und verweisen ebenfalls die Klienten, bei denen eine Medikamenteneinnahme notwendig erscheint, an einen Arzt bzw. Psychiater.

Heilpraktiker für Psychotherapie, Coaches und sinnvolle Therapie-Alternativen ?

Im zweiten Teil haben wir die aktuellen Therapeutenlage in Deutschland beleuchtet. Nicole und Florian konnten anhand aktueller Zahlen zeigen, dass diese Lage im wahrsten Sinne des Wortes mehr als „schräg“ ist. Konkret stehen 27.000 Therapeuten über 23 Millionen Menschen mit psychischen Erkrankungen gegenüber. Und wenn sich jeder der Betroffenen tatsächlich an einen ambulanten Psychotherapeuten wenden würde, kämen auf jeden dieser Therapeuten pro Jahr ca. 630 Patienten. Zudem sprachen wir über die Therapeutensituation während der aktuellen Corona-Krise. Hierbei haben wir die Möglichkeit aufgezeigt, neben kassenärztlichen Behandlungen mit oft langen Wartezeiten, auch psychologische Psychotherapeuten oder Heilpraktiker für Psychotherapie aufzusuchen.

Im Folgenden zeigen wir zusätzliche Möglichkeiten auf, wenn Unterstützung, aber keine Therapie benötigt wird.

Marcus: So wie ich euch verstanden habe, liegt die Gemeinsamkeit von Heilpraktikern für Psychotherapie und psychologischen Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung in der Diagnostik und Therapie von psychischen Erkrankungen. Zu wem sollte ich denn jetzt gehen, wenn ich es mir selbst aussuchen kann?

Florian: Für mich gibt es beim Heilpraktiker für Psychotherapie drei Vorteile, die herausstechen: 1., wir haben die freie Methodenwahl. 2., wenn keine Krankenkasse die Kosten trägt, ergehen auch keine persönlichen Informationen über meine aktuelle Lage an die Kassen und ganz wichtig 3., bei uns sind oft recht kurzfristig Termine zu bekommen.

Marcus: Bei der Vorbereitung zu unserem Interview habe ich gelesen, dass Erstgespräche binnen 6 Wochen möglich sind. Heißt kurzfristig bei euch schneller?

Florian: Wichtig ist hier nicht nur das Erstgespräch, sondern der Therapiebeginn nach Richtlinien. Und der ist nach dieser Studie zirka 5 Monate nach Anfrage. Nach der eigenen Bewertung Bundes Psychotherapeutenkammer aus dieser Studie ist das zu lange [11]. Wir können deutlich unter dieser Zeit bleiben. Wir sprechen hier von einem Therapiebeginn innerhalb weniger Wochen. Allerdings habe ich dazu leider keine Studie parat und kann nur aus eigener Erfahrung sprechen.

Marcus: Was ist nun mit den Krankenkassen und der Informationsweitergabe?

Florian: Da wir als Heilpraktiker für Psychotherapie mit Masse nicht in die kassenärztliche Versorgung eingebunden sind, sind wir außer bei der Kostenübernahme durch eine Krankenkasse nicht verpflichtet eine Diagnose weiterzugeben. Mir gefällt der Gedanke, dass eine Diagnose bei mir und meinem Behandler bleibt und nicht noch an Dritte weitergegeben wird.

Marcus: Was ist mit der freien Methodenwahl gemeint?

Florian: Die Therapiemethode ist sozusagen die Schule, nach der man eine Störung behandelt. Wird man von einem Therapeuten behandelt, der mit der Krankenkasse abrechnet, so stehen dafür nur – ich meine drei Therapiemethoden – zur Verfügung, nämliche die Verhaltenstherapie, die analytische Psychotherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie[12]. Da es aber noch viele Therapierichtungen mehr gibt, ist man hier in Deutschland da sehr beschränkt. In Österreich sind beispielsweise deutlich mehr Methoden von den Krankenkassen zugelassen. Wir Heilpraktiker für Psychotherapie können im Gegensatz dazu aus dem Vollen schöpfen. Ich nutze beispielsweise die Kognitive Verhaltenstherapie und arbeite integrativ mit der Transaktionsanalyse. Das heißt für den Hilfesuchenden, dass er oder sie so die Möglichkeit erhält eine Methode und den passenden Behandler zu finden, mit denen man sich wohl fühlt. Schließlich entscheidet über das Gelingen einer Therapie auch die Therapeuten-Klienten-Beziehung und wenn diese von Vertrauen und Sympathie geprägt ist, so ist die Wahrscheinlichkeit Linderung zu erfahren, deutlich größer.[13]

Marcus: Das leuchtet ein. Gibt es noch weitere Aspekte, die eine Therapie bei einem Heilpraktiker für Psychotherapie, von der bei einem psychologischen Psychotherapeuten unterscheiden?

Nicole: Ja, und zwar die Flexibilität des Klienten bezüglich der Dauer der Therapie. Zum Beispiel werden bei einer Verhaltenstherapie, die von der Krankenkasse übernommen wird, zunächst maximal 60 Stunden bewilligt. Die Beantragung einer Verlängerung bzw. Fortsetzung auf insgesamt höchstens 80 Stunden ist möglich. Wählt man eine Therapie bei einem Heilpraktiker für Psychotherapie, so stimmt man mit diesem die Anzahl der Stunden bzw. Sitzungen nach Bedarf ab.

Marcus: Welche Konsequenz hat das für den Klienten?

Nicole: Nun ja, wenn der Klient die Therapie selbst bezahlt, möchte dieser aus wirtschaftlichen Gründen häufig in absehbarer Zeit/ zeitnah zum Ziel kommen. Dennoch kann er bzw. sie sich im Bedarfsfall sicher sein, so viele Termine zu bekommen, wie eben notwendig und gewünscht sind. Wobei ein seriöser Therapeut seine Klienten nicht länger behandelt, als therapeutisch notwendig, sondern dafür Sorge trägt, dass dieser möglichst zügig sein Ziel erreicht.

Marcus: Welche weiteren Besonderheiten rund um die Terminvereinbarung und Sitzungsgestaltung gibt es?

Nicole: Zum einen weicht die Sitzungsdauer bei vielen Heilpraktikern für Psychotherapie von der 50-Minuten-Dauer ab, die eine reguläre Vorgabe der kassenfinanzierten Therapien ist. D.h. es gibt Heilpraktiker für Psychotherapie, die z.B. 60- oder 90- minütige Sitzungen anbieten oder auch eine ganz andere Dauer für ihre Sitzungen auswählen. Zum anderen bieten einige KollegInnen auch Termine früh morgens, spät abends oder am Wochenende an. Dies bietet einigen Klienten etwas mehr Spielraum in der Termingestaltung.

Marcus: Ich halte mal Folgendes fest: Sowohl die psychologischen Psychotherapeuten als auch die Heilpraktiker für Psychotherapie beschäftigen sich mit der Diagnostik und Therapie von Menschen, bei denen eine psychische Erkrankung vorliegt. Einige psychologische Psychotherapeuten haben eine Kassenzulassung, so dass man bei ihnen eine Therapie machen kann, die von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird. Möchte man nicht so lange warten, bis der eigene Antrag von der Versicherung bewilligt ist oder wird er eventuell sogar abgelehnt, kann ich sowohl bei einigen psychologischen Psychotherapeuten als auch bei den Heilpraktikern für Psychotherapie eine Therapie auf eigene Kosten machen. Wie sieht es denn aus, wenn ich beispielsweise Unterstützung bei privaten oder beruflichen Themen haben möchte und gar keine Therapie brauche?

Florian: In diesem Fall wäre z.B. eine psychologische Beratung oder ein Coaching möglich. Die psychologische Beratung kommt z.B. bei belastenden privaten Lebenssituationen, partnerschaftlichen oder beruflichen Problemen zum Einsatz. Oft geht es um die Überwindung von Konflikten und Krisen. Ganz wichtig aber: Es liegt keine psychische Erkrankung vor! Ist dies der Fall, sind wir wieder im Bereich der Psychotherapie.

Marcus: Ok, vom Coaching habe ich eine Idee, aber wie genau arbeitet denn ein psychologischer Berater bzw. wie kann ich mir eine psychologische Beratung vorstellen?

Florian: Die Beratung dient „neben der Vermittlung von Informationen der Verbesserung der Selbststeuerung und dem Aufbau von Handlungskompetenzen, der Orientierung und Entscheidungshilfe, der Hilfe bei der Bewältigung von Krisen.“[14] Es geht darum, dass der Berater einem hilft, sich selbst zu helfen. Ein psychologischer Berater löst einem also keine Probleme mit dem gemeinen Chef und er sagt einem auch nicht wie man sich nach der Trennung zu verhalten hat.

Marcus: Kleine Fangfrage meinerseits, heißt das also ich bekomme keinen konkreten Ausweg oder eine konkrete Lösung genannt?

Nicole: Nein, denn es gibt etwas Besseres. Es wird dahingehend gearbeitet, dass man sein Problem selbst lösen kann. Dadurch erfährt man gleichzeitig auch eine Steigerung des Selbstwertes, da man sich selbst als fähig und kompetent und in der Lage zu Handeln wahrnimmt. So entwickelt also der Klient die Lösung, um mit seinem gemeinen Chef klar zu kommen. In der Beratung erhält man die wertvolle Hilfe zur Selbsthilfe.

Marcus: Das erinnert mich vom Ansatz und der Haltung stark an mein Business, das professionelle Coachings, in dem ich tätig bin.

Nicole: Inwiefern, wie ist das denn bei „euch“ Business Coaches?

Marcus: Ähnlich wie ich euch verstanden habe, ist Business Coaching auch nach unserem Verständnis ein ergebnis- und lösungsorientierter Lernprozess. Also das Ziel ist die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln und individuelle, beruflich-private Anliegen zu realisieren. Daher stehen wir unseren Coachees als Prozessbegleiter und Auslöser von individuellen Veränderungen und persönlicher Weiterentwicklung zur Verfügung.

Florian: Wie sieht das konkret aus?

Marcus: Wir ermöglichen bei unseren Coachees das Erkennen von Problemursachen und regen an, eigene Lösungen zu entwickeln. Dadurch ermächtigen wir unsere Coachees dazu, Herausforderungen eigenständig zu meistern und zielführende Verhaltensweisen sowie Einstellungen zu etablieren. Dies bedeutet, dass die eigentliche Veränderungs- und Entwicklungsarbeit vom Coachee selbst geleistet wird.

Florian: Gibt es aus deiner Sicht Voraussetzungen, die ein Coachee mitbringen sollte?

Marcus: Klar, entscheidend für den Erfolg eines Coachings ist, dass der Coachee bereit und offen dafür ist, eigene Denkprozesse und Verhaltensmuster zu hinterfragen und sich mit seiner eigenen Person und Situation selbstkritisch auseinanderzusetzen, um die gewünschten Ziele und Ergebnisse zu erreichen.

Nicole: Wenn ich das jetzt mal versuche zusammenzufassen, dann ähneln sich die psychologische Beratung und das Coaching darin, dass sie für die Klienten bzw. Coachees eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe“ bei der Suche nach Problemlösungen bieten. In beiden Bereichen geht es zudem um die Förderung der Lösungskompetenz und Persönlichkeitsentwicklung.

Marcus: Da stimme ich dir zu. Und schön, das ihr den Interview-Spieß jetzt umgedreht habt. Aber ich finde es gerade mega spannend von euch befragt zu werden, denn wir haben unheimlich viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede in unseren Berufen.

Florian: Wo siehst du eventuell Unterschiede zwischen der psychologischen Beratung und dem Coaching?

Marcus: Zunächst einmal ist das Coaching ja eine spezielle Form der Beratung, jedoch mehr mit dem Schwerpunkt der Prozessbegleitung. Als Coach bin ich weniger ein Fachberater in speziellen Themengebieten. Stattdessen ist der Coachee der Experte für sein Anliegen. Ich unterstütze, indem ich den Prozess strukturiere und dabei helfe, zu einer Lösung zu gelangen. Wohingehend ich bei der psychologischen Beratung verstärkter eine Begleitung mit psychologisch fundiertem Wissen sehe, welches der Berater einsetzt, um mit dem Klienten gemeinsam eine Lösung zu finden.

Florian: Du sagtest, dass der Coachee der Experte für sein Anliegen ist. Mit welchen Anliegen kommen die Menschen ins Coaching?

Marcus: Die Anliegen meiner Coachees sind überwiegend aus dem beruflichen Bereich, was sicherlich auch daran liegt, dass ich mich auf diesen Bereich spezialisiert habe. Häufig arbeite ich mit Führungskäften in Unternehmen zusammen, wo es oft um die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern geht. Mittlwereile gibt es allerdings sehr viele Arten von Coaching. Sport-Coaching, FinanzCoaching, Karriere-Coaching, Gesundheits-Coaching, usw. Am häufigsten verbreitet ist das Business-Coaching. Dadurch verbinden viele Menschen Coaching auch eher mit dem beruflichen Bereich.

Nicole: Das erlebe ich ähnlich, dass Coaching eher im beruflichen Kontext eingesetzt wird. Wo siehst du eventuell Grenzen des Coachings und der psychologischen Beratung?

Marcus: Die Grenzen sehe ich in beiden Bereichen ganz klar dort, wo eine psychische Erkrankung vorliegt. Coaching und psychologische Beratung sind keine Psychotherapie und können diese auch nicht ersetzen. Das heißt, wir diagnostizieren, behandeln und therapieren nicht. Vielmehr ist es notwendig, dem Klienten oder Coachee im Falle einer psychischen Erkrankung den Weg zum Arzt, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker für Psychotherapie zu empfehlen.

Sollten Fragen bei Ihnen, liebe Leser, auftreten, so wenden Sie sich gerne an uns:

Nicole Rübbe

Nicole Rübbe, Jahrgang 1982, studierte Germanistik und Sozialwissenschaften auf Lehramt. Nach Ihrem ersten Staatsexamen wechselte sie in die freie Wirtschaft und schaut nunmehr auf neun Jahre Berufserfahrung in Beratung und Vertrieb zurück. Seit ihrer Qualifikation zur zertifizierten psychologischen Beraterin und erfolgreichen Prüfung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie unterstützt sie seit 2020 Menschen in herausfordernden Lebenssituationen in ihrer eigenen Praxis in München.

www.praxis-ruebbe.de
info@praxis-ruebbe.de

Karl-Theodor-Straße 62
80803 München
Tel.: 0179 / 43 36 100

 

Florian Schefenacker

Florian Schefenacker kam 1986 zur Welt und studierte Bildungs- und Erziehungswissenschaften mit den Schwerpunkten Erwachsenenbildung und Beratungspsychologie während seiner Dienstzeit als Offizier bei der Bundeswehr. Nach seinem Studium war er, bis zu seinem Verlassen der Bundeswehr im Jahr 2018, stets mit Führungsaufgaben betraut und dauerhaft im Bereich der Aus- und Weiterbildung tätig. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zum psychologischen Berater und bestandener Prüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie gründete er seine eigene Praxis in Augsburg. Dort unterstützt er seitdem Menschen, die sich vor Herausforderungen und in unangenehmen Lebensabschnitten sehen.

www.praxis-schefenacker.de
info@praxis-schefenacker.de

Oberschönenfelder Straße 25
86199 Augsburg
Tel.: 0160 / 955 44 370

 

Marcus Rübbe

Marcus Rübbe, Jahrgang 1977, ist Diplom-Pädagoge und Psychologe mit den Schwerpunkten betriebliche Erwachsenenbildung sowie Arbeits- u. Organisations-Psychologie. Nach seiner zehnjährigen wissenschaftlichen Laufbahn begleitet er seit 2010 als selbständiger Unternehmer und Organisationsentwickler Führungskräfte und Teams in kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Konzernen. Marcus Rübbe ist Inhaber der BUSINESS AKADEMIE MÜNCHEN mit den Fokusbereichen Führungskräfte- und Teamentwicklung. Bei seiner Arbeit verfolgt er Ansätze gehirngerechter und kollaborativer Führung.

BUSINESS-AKADEMIE MÜNCHEN
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Karl-Theodor-Str. 62
80803 München
Tel.: 089 / 209 239 40
Mobil: 0176 / 231 656 30


[1] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/_inhalt.html [Zugriff 18.06.2020 14:13]
[2] Lieb, K. / Frauenknecht, S. / Brunnhuber, S. (2016): Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie, 8. Auflage; Elsevier GmbH, München (S. 3)
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/_inhalt.html [Zugriff: 18.06.2020 14:35]
[4] Lieb, K. / Frauenknecht, S. / Brunnhuber, S. (2016): Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie, 8. Auflage; Elsevier GmbH, München (S. 3)
[5] https://www.thieme.de/de/psychiatrie-psychotherapie-psychosomatik/psychisch-kranke-menschen-deutschland-92051.htm [Zugriff: 13.06.2020
15:12]
[6] https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/publikationen/stat_berichte/2020/SB_A01-05-00_2019h02_BE.pdf [Zugriff: 18.06.2020 15:14]
[7] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2018/PD18_11_p002.html [Zugriff: 18.06.2020 14:20]
[8] Lieb, K. / Frauenknecht, S. / Brunnhuber, S. (2016): Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie, 8. Auflage; Elsevier GmbH, München (S. 3)
[9] https://www.statistik-nord.de/zahlen-fakten/bevoelkerung/bevoelkerungsstand-und-entwicklung/dokumentenansicht/bevoelkerung-in-hamburg2018-61427 [Zugriff 18.06.2020 15:07]
[10] https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/154e18a8cebe41667ae22665162be21ad726e8b8/Factsheet_Psychiatrie.pdf [zugriff: 19.06.2020
15:21]
n.
[11] BPtK (2018): Studie: Ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie-Richtlinie; Wartezeiten 2018; Berlin
[12] https://www.aok.de/pk/bayern/inhalt/ambulante-psychotherapie-1/ [Zugriff: 13.06.2020 10:35]
[13] https://www.klaus-grawe-institut.ch/blog/die-therapeutische-beziehung-als-zentraler-wirkfaktor-der-psychotherapie/ [Zugriff: 13.06.2020 11:04]
[14] Nußbeck, S. (2006): Einführung in die Beratungspsychologie; Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München (S. 21)

 

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Über die Autorin

Nicole Rübbe ist eine erfahrene Heilpraktikerin, beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, und bietet in ihrer Münchner Praxis individuelle Unterstützung zur Überwindung von seelischen Belastungen und zur Förderung persönlicher Weiterentwicklung an. Mit ihrer umfassenden Ausbildung und jahrelanger Berufserfahrung unterstützt sie ihre Klienten/-innen empathisch und kompetent auf ihrem Weg zu mehr Wohlbefinden und neuen Perspektiven für ein erfülltes Leben.